Die Inselgruppe im Indischen Ozean, deren unberührte, Palmen gesäumte Sandstrände oft für westliche Paradiesvorstellungen herhalten müssen, hat den Tourismus bisher erfolgreich ins Inselleben integrieren können, wie eine kürzlich in den «Annals of Tourism Research» veröffentlichte Studie feststellt. Im Unterschied zu vielen vergleichbaren Fernreisezielen zeigen die rund 70’000 InselbewohnerInnen weder Ablehnung noch Skepsis gegenüber der doch stattlichen Zahl von rund 100’0000 TouristInnen, welche die Seychellen jährlich besuchen. (Die Tendenz ist steigend, 1993 waren es mit 116 180 erstmals über 100’000). «Die Seychellen mögen Touristen, die Seychellen wollen Touristen, die Seychellen brauchen Touristen,» dies, so David Wilson, die weitgehend einhellige Meinung aller Befragten, durch alle sozialen Schichten hindurch und unabhängig davon, ob direkt vom Tourismus abhängig oder nicht. Der Autor, selber überrascht über dieses Ergebnis, schreibt dies dem allgemein recht hohen Lebensstandard, der erfolgreichen Beschäftigungs­- und Sozialpolitik des sozialistischen Staates und einem durchdachten Tourismuskonzept zu. Der wichtigste Faktor, so wird in der Studie betont, ist die Verteilung der Einkünfte aus dem Tourismus auf alle Bevölkerungsschichten, dies in Form von kostenloser Gesundheitsversorgung und freiem Schulbesuch, einer Wohnungspolitik für Einkommensschwache, Lohnbeschränkungen für die Mittelklasse und den staatlichen Bemühungen, unlautere Geschäfte von Händlern auf den Inseln zu unterbinden. Schliesslich gibt es kaum Arbeitslosigkeit auf den Seychellen, allerdings wäre zu untersuchen, inwiefern die zahlreichen EmigrantInnen dieses Problem auffangen.  Ein zweiter wichtiger Faktor ist ein Tourismuskonzept, welches die begrenzten Kapazitäten der Inseln respektiert und verhindert, dass eine Tourismuskultur dominiert und das «normale» Leben verdrängt: So wurden die Hotels auf verschiedenen Inseln oft weit weg von den Dörfern der Einheimischen gebaut und dürfen die Höhe der sie umgebenden Palmen nicht überschreiten. Rucksack‑ und Massentourismus werden durch das Fehlen von Charterflügen, hohen Hotelpreisen, Beschränkung der Bettenzahl und einem strikten Campingverbot ferngehalten.  Bis jetzt war diese Politik erfolgreich, wie die Studie mit dem Titel «Unique by a Thousand Miles» festhält. Dies ist umso erstaunlicher, als die Seychellen sehr abhängig vom Tourismus sind: Seit 1975 liefert dieser Industriezweig den grössten Beitrag zum Bruttoinlandprodukt. Eben hier, so David Wilson, liegen aber auch die Gefahren:  Der Ferntourismus ist äusserst konjunkturabhängig und reagiert sehr rasch auf politische und soziale Veränderungen.  ‑Was im Tourismus erwirtschaftet wird, fliesst für Importe zum grössten Teil wieder ab. Von den Tourismuseinnahmen bleiben nur etwa 25 Prozent im Land.  ‑Die Seychellen werden selten mehrmals besucht, was den Druck erhöhen könnte, die Inseln auch für den Massentourismus zu öffnen. Das fragile ökologische Gleichgewicht würde dadurch gefährdet, und damit auch das Markenzeichen der Seychellen, eine noch weitgehend intakte Natur.
Annals of Tourism Research, Vol 21,1994; Weekly Mail&Guardian 7.‑13.10.94; Hotel+Tourismus Revue 14.7.94/kg