Basel, 21.05.2014, akte/

Welches Buch führt dich auf die schönste oder intensivste Reise?

Es ist ein ganz spezielles Buch von Asta Scheib, mit dem Titel "Das Schönste, was ich sah". Scheib kombiniert die Biografie von Giovanni Segantini mit Geschichte, Kunstbetrachtung. Sie beschreibt die Reisestationen in Segantinis Leben, aber auch die Liebe seines Lebens und die Freundschaft zum anderen berühmten Schweizer Künstler, Alberto Giacometti.
Giovanni Segantini wird als kleiner Bub zum Waisen und kommt zu seiner Stieftante nach Italien. Hunger ist sein Begleiter. Nach kurzer Zeit läuft er weg und lebt als obdachloser Junge auf der Strasse, bis man ihn in eine Besserungsanstalt steckt. Dort leidet er unter dem Eingesperrtsein, er will hinaus in die Natur. Ein Mönch fördert die offensichtliche künstlerische Begabung des sperrigen Jungen. Giovanni entflieht der Anstalt und schlägt sich durch. Er kann sogar genug Geld verdienen, um an der Kunstakademie in Mailand aufgenommen zu werden. Sein Talent wird von allen anerkannt, er gewinnt Preise, aber er wird auch ausgenutzt. Seine Stimmungen wechseln zwischen Schwermut und Hochgefühlen. Eine glückliche Fügung ist seine Freundschaft zu Carlos Bugatti, einem Sohn aus guter Familie: Giovanni verliebt sich in dessen Schwester Luigia, die den Reichtum und den Schutz der Bugattis aufgibt und Segantini fortan durch Höhen und Tiefen begleitet. Mit ihr reist er durch das Bergell. Die Beschreibung des Bergells ist historisch wertvoll, da wird die Geschichte der Zuckerbäcker aufgearbeitet, das ist spannend. Das Schönste, was er sieht, ist Luigia oder "Bice", wie er sie liebevoll nennt, so wie er sie sieht, in Kombination mit dem schönen Bergell.
Aufmerksam gemacht auf dieses Buch wurden wir durch liebe Freunde von uns, welche uns vor zwei Jahren zu einer Reise ins Bergell einluden. Und das war wirklich eine Reise wert. Es ist wirklich einzigartig schön und hat mir einmal mehr gezeigt, dass wir oft weit weg reisen und das Schönste vor der Haustür oft noch gar nicht entdeckt haben. Ganz stark wird im Buch auch die Freundschaft Segantinis zu Alberto Giacometti beschrieben. Die beiden Maler sind prägende Figuren des Oberengadins und Bergells. Ich empfehle jedem, dieses Buch zu lesen, es führt auch durch die menschliche Geografie. Segantini stirbt mit nur 43 Jahren an Lungenentzündung. Er hatte sich nie geschont, war immer in die Berge gegangen, um zu malen, mit seinen ganz besonderen Farben.

In Segantinis Werken sieht man aber auch düstere Töne.

Segantini hat schwarze Zeiten erlebt, er litt unter Existenzängsten, aber immer haben ihn seine Frau Bice und die Haushälterin Baba durch Dick und Dünn begleitet. Auf unserer Lebensreise begegnen wir Menschen, mit denen wir uns verbinden. Werte wie das füreinander Einstehen durch alles hindurch sind mir wichtig.

Hattest Du auch einen Hang zur Kunst?

Während meiner Gymnasialzeit hatte ich den Traum, Tänzerin zu werden. Ich trainierte beinahe täglich, absolvierte das Diplom der Royal Academy of Dancing. Mit neunzehn, nach der Matura, konnte ich in Stuttgart vortanzen gehen und war in einer Trainingsstunde, wo sogar der weltberühmte Balletttänzer Robert Nureyew mit dabei war. Doch dann kam die grosse Enttäuschung: Man machte mir klar, dass ich zu alt sei und keine Primaballerina werde. Ausserdem seien die Füsse schon jetzt nicht mehr gesund. Zuerst fiel ich in ein schwarzes Loch. Der Traum war also abrupt ausgeträumt. Aber ich musste vorwärts schauen. Ich strich das Ballett aus meinem Leben und ging ins Ausland, zuerst an die Sorbonne in Paris, danach an die Washington University in Washington DC. Ich machte dann an der Uni Zürich ein phil.I. Studium in Romanistik und Anglistik, absolvierte parallel dazu das Höhere Lehramt und hatte schon bald mehrere Lehraufträge an drei Gymnasien in Zürich.

Und wie kamst du zur Reisebranche?

Ich war schon früh auf Reisen, denn mein Vater war Swissair-Kapitän und wir verreisten als Familie regelmässig. Meine Eltern taten das mit Bewusstsein: Erst fuhren wir zu näheren Destinationen, etwa nach Griechenland, erst später nach Asien, Afrika, Amerika. Nach meiner Lehrtätigkeit sehnte ich mich also wieder nach dem Reisen und ich wurde Reiseleiterin bei Kuoni, eine Kuoni-"Hostess" in Tunesien. Das war noch während den Anfängen des Tourismus, zu den Charterzeiten. Zwei Jahre arbeitete ich als Ortsreiseleiterin, dann war ich Resident Manager, dann Destinationsmanagerin für die Türkei und später für Bangkok. Dann Einkäuferin, Produktmanagerin – und schon hatte ich zehn Jahre bei Kuoni gearbeitet. 1991 verlor ich Zuge einer Restrukturierung meine Anstellung. Ein schwieriger Moment, aber auch eine Möglichkeit zur Veränderung.

Wohin führte diese Möglichkeit dich?

Ich war kurze Zeit in der Unternehmensberatung tätig und sah 1992 das Inserat: Da suchte eine Schule in Zürich, ein Ableger der Churer Hotelfachschule, eine Direktion. Ich bewarb mich, weil ich hier mit Tourismus und Bildungswesen gleich zwei meiner Steckenpferde verbinden konnte, und bekam die Stelle. Aber es war sicher auch keine einfache Aufgabe. Es gab schwierige Zeiten. 1993 hiess es, entweder wir finden einen Investor oder wir gehen Konkurs. Ich fand einen holländischen Investor und konnte von da an die Schule aufbauen. 1997 erreichten wir die eidgenössische Anerkennung. 1999 kam die Schule in die Hände meiner Familie und 2003 konnte ich sie ganz übernehmen. So konnten wir letztes Jahr das 20-Jahre-Jubiläum der IST feiern, sowie das 5-Jahre-Jubiläum der Schule in Lausanne, welche ich ebenfalls gegründet habe. Zusätzlich zu den Lehrgängen der Höheren Fachschule bieten wir seit 15 Jahren auch Quereinsteigerkurse für die Reisebranche an und bilden seit 2009 gesamtschweizerisch die Lernenden in den überbetrieblichen Kursen und der Branchenkunde Reisebranche aus. Zwischendurch durften wir in einer spannenden Kooperation mit KUONI während drei Jahren Studierende der KUONI Academy in Indien ausbilden. Mein Leben ist unglaublich reich, bewegt, erfüllt, herausfordernd, glücklich aber auch gepaart mit verschiedenen Enttäuschungen. Ein unglaublicher Kampfgeist und ein beinahe grenzenloser Optimismus, so wie positives Denken prägen mich. Das war schon immer so. Die Auf und Abs sind immer nur Momente. Die Entlassung bei Kuoni hatte mich damals getroffen, aber schliesslich erwies sie sich als mein Glück, und die Person, die damals diesen Entscheid fällen musste, sitzt heute in meinem Verwaltungsrat. Ich sage immer, man sieht sich zweimal im Leben, deshalb ist es wichtig, das Gute in der Beziehung zu pflegen. 

Was bedeutet dir die Schule heute?

Sie ist mein Kind, das ich zum Wachsen gebracht habe und auf das ich stolz bin. Es ist ein grosses Glück und Geschenk, jeden Tag von so vielen jungen, motivierten und engagierten Menschen umgeben zu sein und diese auf ihre professionelle Zukunft vorbereiten zu dürfen. Ebenso macht es grosse Freude, mit einem hoch professionellen Dozententeam das Schiff zu steuern.

Was heisst für dich fair unterwegs sein?

Respektvoll und bewusst reisen: wissen wohin ich gehe, was mich dort erwarten könnte und mir Gedanken machen, wie ich damit umgehen könnte, damit ich immer respektvoll bleiben kann. Nicht in Ferienghettos gehen, wo ich noch meine Röschti serviert bekomme. So reisen, dass wir etwas lernen oder etwas mitbringen können. Auch mit Bescheidenheit. Auch ich liebe den Aufenthalt in einem schönen Hotel. Aber bevor ich dort ein Zimmer buche, will ich wissen, was für ein Credo das Unternehmen vertritt. Ich informiere mich bei euch auf fairunterwegs.org. Und frage beim Veranstalter nach, oder sogar beim Hotel direkt, um zu wissen, was für ein Leitbild die Betreiber haben und was sie für die Nachhaltigkeit tun. Und schliesslich heisst es für mich auch, nicht einfach für zwei Tage nach Singapur zu reisen. Meine Reiselust wird mir wohl nie vergehen, aber ich habe nicht mehr das Bedürfnis, fünfzehn Mal pro Monat die Koffer zu packen, und ich entdecke jetzt auch gerne die Schönheiten in der Nähe. Wie eben das Bergell, das mich seither fasziniert. Die gemeinsam verbrachte Zeit mit meinem Mann – beim Sport treiben, Kultur geniessen, Kochen, Wellnessen – ist ein wichtiger Ausgleich zur Arbeit.

Seit vielen Jahren unterstützt Du den arbeitskreis tourismus & entwicklung. Warum?

Wir fördern euch seit zwanzig Jahren, weil es uns wichtig ist, dieses Bewusstsein für Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit beim Reisen bei den Jungen zu fördern und gezielt immer wieder einfliessen zu lassen. Das Schöne ist: Viele Junge sind ansprechbar auf diese Themen. Sie reisen bewusst und sie wählen Themen zu Tourismus und Nachhaltigkeit für ihre Diplomarbeit. Aber es ist nie genug. Wir müssen die Chance wahrnehmen, die späteren Tourismusverantwortlichen heute an das Thema heranzuführen. Ich bin die erste, die auf euer Reiseportal hinweist, und ihr habt ja auch regelmässig Bildungseinsätze bei uns. Wir erhalten ein gutes Feedback darauf. Eine ähnliche Zusammenarbeit pflegen wir auch mit Oceancare und mit Mobility International Schweiz, weil diese Organisationen ebenfalls wichtige Nachhaltigkeitsthemen abdecken. Wir haben das sogar in unserem Rahmenlehrplan so festgehalten.