Rechtzeitig vor der Abstimmung zur Asylgesetzverschärfung leuchtet Amor Ben Hamida verschiedene Perspektiven zur Flüchtlingsbewegung aus Nordafrika aus.

"Harragas" nennt man sie. Sie steigen in ein Boot und versuchen, Lampedusa, den von Tunesien aus nächsten europäischen Ort, zu erreichen. Die Harragas in Marokko versuchen, Spanien zu erreichen. Von Algerien aus steuern sie Frankreich an.
Das Wort Harrag kommt vom arabischen "brennen". Man bezeichnete so  jemanden, der ein Visum für Europa bekam, zum Studium oder für einen Besuch, der aber nach Ablauf des Visums nicht nach Hause ging, sondern untertauchte. Er "verbrannte" sein Visum, sagt man in Nordafrika. Heute meint man damit fast ausschliesslich die jungen Leute, die vor, während und nach der Revolution in Nordafrika mit Booten Europa zu erreichen versuchen. Viele Tausende haben es geschafft. Einige Hundert sind ertrunken.
Amor Ben Hamida beschreibt in seinem neuesten Werk die Motive, Erwartungen, Hoffnungen und Schicksale der jungen Tunesier, die unmittelbar nach der tunesischen Revolution beschlossen haben, das Land zu verlassen: Sie nahmen ein Boot und fuhren nach Lampedusa…
Von dort aus wollten sie ins vermeintliche Paradies, das die Namen trug wie France, Allemagne, Suède oder Suisse.
Nicht alle kamen an! Ali beispielsweise spricht von den Tiefen des Mittelmeeres zu seinen Freunden und versucht, ihnen die Ausreise auszureden, indem er ihnen von seinem Schicksal erzählt. Doch Mokhtar schafft es über Lampedusa nach Zürich zu gelangen, aber was ihn hier erwartet, enttäuscht und demütigt ihn zutiefst.
Amor Ben Hamida zeigt in diesem ersten deutschsprachigen Roman über die illegalen MigrantInnen in der Schweiz die Einstellungen, Vorurteile und gefassten Meinungen beider Seiten: So lässt er einerseits Kathrin zu Wort kommen, die aufgeschlossen ist und mit allen Mitteln versucht, Mokhtar, den sie über Facebook kennen gelernt hat, eine Zukunft in der Schweiz zu verschaffen; es kommt aber auch Ulrich, Kathrins Vater zu Wort, der konservativ, ängstlich, aber keineswegs rassistisch ist. Er will, dass alle illegalen MigrantInnen ausgeschafft werden und mobilisiert seine Gemeinde für seine Ideen.
Ein kurzer, heftiger Roman voller Träume und Tragödien. Gleichzeitig wird die Entstehung der tunesischen Revolte mit der Selbstverbrennung des Mohammed Bouazizi aus der Sicht junger arbeitsloser Männer beschrieben, die nur darauf gewartet haben, dass die Sicherheit im Land nachlässt, um zu "desertieren"…

Amor Ben Hamida: Aufgetaucht: Zum Paradies via Lampedusa. Eigenverlag, Adliswil 2013,
140 Seiten, CHF 14.50, EURO 12.50, ISBN: 978-3-906021-11-9