«Wir sind gefangen im Hamsterrad des Konsums»

Weltweit muss der Pro-Kopf-Energieverbrauch um 90 Prozent zurückgehen, um den Klimawandel auf ein erträgliches Mass zu bremsen. Dies fordert Marcel Hänggi, Autor des neuen Buchs «Wir Schwätzer im Treibhaus». Wer schon heute damit anfangen will, soll seinen Konsum reduzieren – was nicht auf Kosten des Glücks gehen muss.
Der Börsen- und Bankencrash lässt viele Menschen ihr Geld für noch schlechtere Zeiten horten, der Konsum leidet. Für das Klima hingegen bedeutet dies eine Verschnaufpause. Sind Sie erleichtert?
Tatsächlich haben etwa einzelne Automobilwerke die Produktion unterbrochen. Wird weniger hergestellt und damit auch verbraucht, entlastet dies das Klima. Konsequent zu Ende gedacht wäre ein kompletter Wirtschaftskollaps der wirksamste Klimaschutz. Doch diese Entwicklung kann sich natürlich niemand wünschen. Sinnvoller wäre es, wenn die Politik eine nachhaltige Strategie verfolgen würde.
Ginge es nicht auch freiwillig, ohne gleich nach der Politik zu rufen?
Das würden die meisten sicher bevorzugen, doch die Erfahrung zeigt, dass Appelle an die Bevölkerung wenig bewirken. Dazu kommt die Gefahr, dass die Energie, auf die ich persönlich verzichte, ganz einfach von jemand anderem verbraucht wird – unter dem Strich hat das Klima nichts davon. Wir brauchen also eine gesellschaftlich und politisch für alle verbindliche Lösung.
In Ihrem Buch führen Sie den Begriff des «Rebounds», des Rückschlags, auf, der angebliche Erfolge beim Energiesparen relativiert. Was verstehen Sie darunter?
Nehmen wir die Isolation eines Hauses. Energetisch ist dies eine höchst intelligente Massnahme, die sich oft schon nach wenigen Jahren finanziell auszahlt. Die Frage ist, was man mit dem eingesparten Geld anfängt. Fliegt man damit in die Ferien? In diesem Fall erzeugt man einen indirekten «Rebound», der unter dem Strich schlimmstenfalls sogar mehr CO2 freisetzt als wenn man zum Fenster hinausheizt. Aus Sicht des Klimas wäre es also zentral, weniger zu arbeiten, weniger zu verdienen und damit auch weniger zu konsumieren. Warum nicht anstelle von Lohnarbeit einen Garten bestellen und sein eigenes Gemüse anpflanzen? Oder Hühner halten?
Das tönt reichlich utopisch…
…ist aber anregend, um die Zusammenhänge zu erklären. Ein anderes Beispiel für «Rebound» ist der Verkehr. Die Mobilität nimmt rasant zu mit den entsprechenden Folgen wie Lärm, Landschaftsverbrauch und Luftverschmutzung. Dabei befriedigen wir heute dieselben Bedürfnisse wie vor 50 Jahren: Wir fahren zur Arbeit, tätigen unsere Einkäufe, gestalten die Freizeit und fahren in die Ferien.



Also freie Bahn für den öffentlichen Verkehr?
Keineswegs. Als Alternative zum Auto und damit als Ersatz sind Bahn und Bus sinnvoll. Doch auch der öV hat unsere Arbeits- und Lebensweise klimabelastend geprägt. Im Gebiet der Zürcher S-Bahn wächst der öV zwar schneller als der Autoverkehr – aber auch der motorisierte Verkehr legt zu: Man wohnt an der Peripherie, pendelt mit der Bahn zur Arbeit, doch für Einkäufe und den Ausgang setzt man eben doch aufs Auto. Unser Problem ist, dass viele technologisch überzeugende Produkte wie etwa Elektromobile nicht anstatt, sondern zusätzlich zum konventionellen Auto angeschafft und genutzt werden. Entsprechend problematisch ist auch die Subventionierung des öffentlichen Verkehrs.
Zurück zu den politischen Instrumenten, die helfen sollen, den Klimawandel in den Griff zu bekommen. Sie plädieren für die Rationierung, einen Begriff, den man mit Kriegszeiten assoziiert.
Wir befinden uns tatsächlich in einer Ausnahmesituation. Zwar hat sich das Erdöl in den letzten zwei Jahren stark verteuert, Gas und Strom ziehen nach. Und trotzdem ist Energie noch immer unglaublich billig und wird entsprechend ungehemmt nachgefragt. Um die Preise wirksam zu erhöhen, braucht es eine Regulierung des Angebots, was automatisch die Nachfrage senkt. Dies ist ein Manko vieler Energieszenarien: Sie tun so, als ob die Nachfrage autonom wüchse und man das Angebot wie ein Naturgesetz daran anpassen müsse. So funktioniert auch die These der Stromlücke, die man hierzulande angeblich dringend mit neuen AKW oder Gaskraftwerken stopfen muss. Doch in Tat und Wahrheit kann man mit der Steuerung durchaus beim Angebot ansetzen – und damit die Nachfrage lenken.
Kommen wir zu den Dimensionen: Sie behaupten, der Ausstoss klimawirksamer Gase müsse bis 2050 pro Kopf um bis zu 90 Prozent zurückgehen. Nicht einmal Umweltverbände verwenden derart dramatische Zahlen…
…womöglich, weil sie Mitglieder und Öffentlichkeit nicht frustrieren wollen. Die Zahl ist aber für alle Interessierten in einer Fussnote des letzten Berichts des Weltklimarats IPCC nachzulesen. Die Anmerkung weist darauf hin, dass mehrere Faktoren in den Berechnungen unberücksichtigt geblieben sind, allesamt Faktoren, die drastisch stärkere Anstrengungen zugunsten des Klimaschutzes verlangen. Doch es stimmt, auch die Wissenschaftler selbst kommunizieren diese Zahl kaum, sondern es ist die Rede von einer Reduktion um 50 bis 85 Prozent. Ich vermute, sie wollen nicht als extrem abgestempelt werden.
Bedeuten die von Ihnen zitierten drastischen Reduktionsziele auch, dass die Rückkehr zur so genannten 2000-Watt-Gesellschaft, die unser Energieverhalten von 1960 widerspiegelt, längst nicht ausreicht, um den Klimakollaps zu verhindern?
Zum Thema Klimakollaps: Auch wenn unser Energieverbrauch weiter eskaliert, die Welt wird nicht untergehen. Doch die Lebensumstände von Millionen von Menschen werden sich verändern, für Millionen wird es zu einer Frage über Leben und Tod. Eine neue Studie der Universität Bern zeigt, dass die Erderwärmung in diesem Jahrhundert 1,4 Grad betrüge – selbst mit der allerbesten vorstellbaren Klimapolitik. Das zeigt, dass die 2000 Watt-Gesellschaft nur ein Zwischenschritt sein kann. 2000 Watt sind heute der globale Durchschnittsverbrauch pro Kopf und Jahr, für die Schweiz wäre das Dritteln ihres aktuellen Konsums schon mal ein sehr erstrebenswertes Ziel. Können wir den Verbrauch weiter senken, stellt sich die Frage, zu einem wie grossen Teil wir ihn aus erneuerbaren statt aus fossilen Quellen decken.
Und wie realistisch ist es, dass die Schweiz und andere Länder den Weg aus dem Klimacrash finden?
Zugegeben, die Wahrscheinlichkeit von radikalen politischen Entscheiden ist klein. Man könnte argumentieren, es sei besser, bescheidene technische Schritte zu machen in der Hoffnung, dass auch diese den Klimawandel genügend bremsen. Ich persönlich hoffe eher auf ein politisches Wunder und damit ein beherztes Handeln gegen den Klimawandel, als darauf, dass sich Naturgesetze plötzlich als fehlerhaft erweisen und die wissenschaftlich prognostizierte Erderwärmung doch noch ausbleibt.
Wer nicht auf die grosse Politik warten will, soll sich bescheiden. Zusammengefasst warnt Ihr Buch, es genüge nicht, die Energiesparlampe mit Ökostrom zu betreiben. Besser wäre es, sie erst gar nicht anzuknipsen. Ist das nicht etwas viel verlangt?
Mir geht es um den Begriff Suffizienz, also Genügsamkeit. Natürlich können wir nicht ganz ohne Energie leben. Aber viele Bedürfnisse lassen sich anders decken – oder sind von den Anbietern der Produkte und Dienstleistungen erzeugt. Damit meine ich etwa den neusten iPod oder die berühmten Erdbeeren im Winter…
…die erst noch zu billig sind, behaupten Sie. Dabei steigen die Lebensmittelpreise aktuell wie schon lange nicht mehr.
Tatsächlich schwanken die Lebensmittelpreise enorm. Doch insgesamt ist Essen im langfristigen historischen Vergleich sehr billig. Heute geben wir dafür gleich viel aus wie für Mobilität, vor zwei Generationen waren Lebensmittel noch viermal wichtiger im Familienbudget. Mit etwas höheren Preisen beispielsweise für biologisch oder regional erzeugtes Essen leisten wir einen wichtigen Beitrag zum Klimaschutz.
Wie das?
Ein Drittel der klimaaktiven Gase stammen aus der Landwirtschaft oder aus der Umnutzung von Landflächen, etwa durch Abholzungen. Wer wenig Fleisch isst und auf Waren verzichtet, die aus Monokulturen stammen, vermeidet den Einsatz von Düngern und Pestiziden auf Erdölbasis, die Abholzung von Urwäldern für Futtermittelplantagen und reduziert die Transportenergie.
Verzichten müssen schon heute viele in der Schweiz. Ist jetzt auch Schluss mit dem jährlichen Ferienflug in die Wärme?
Vielleicht tut es gut, unsere Optik global auszurichten: Wenn uns der Treibstoff für den Ferienflug oder den Zweitwagen zu teuer wird, nervt das bloss. Wenn der Bauer in Afrika seine Ernte nicht auf den Markt fahren kann, weil der Benzinpreis explodiert, ist das jedoch existenziell. Wir müssen uns bewusst werden, wie gefangen wir im Hamsterrad des Konsums sind: Unsere Wohnfläche und Mobilität nehmen laufend zu, wir konsumieren auf Teufel komm raus – und werden doch nicht glücklicher. Um beim Beispiel Ferienflug zu bleiben: Noch nie habe ich Junge von ihrer Reise auf die Malediven so schwärmen gehört wie eine 80-jährige Bekannte, die von ihrer ersten Velofahrt ins benachbarte Ausland erzählte. So lange die Politik die längst als nötig erkannten Entscheide auf die lange Bank schiebt, müssen wir den Ausstieg aus dem Hamsterrad individuell wagen.
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Marcel Hänggi, 39, studierte Geschichte und Germanistik und arbeitet seit 1996 als Journalist, zuletzt als Wissenschaftsredaktor bei der WochenZeitung.
www.mhaenggi.ch. Wiedergabe des Interviews mit freundlicher Genehmigung des Autors. Das Interview erschien in gekürzter Form auch im Surprise Nr. 188 vom 7. bis 20. November 2008,  www.strassenmagazin.ch
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Marcel Hänggi: Wir Schwätzer im Treibhaus. Warum die Klimapolitik versagt. Rotpunktverlag, Zürich 2008, 280 Seiten, SFr. 34.-, 21.50 Euro, ISBN: 978-3-858698-0-8