Basel, 16.10.2008, akte/ Wandert aus! Ursula Bauer und Jürg Frischknecht bieten in ihrem neuesten Wanderbuch dazu rund ein Dutzend Vorschläge auf den Spuren von Abenteurern, Träumern, Auswanderern und auch Einwanderern und Rückkehrern. Denn die Schweiz ist auch ein Auswanderungsland: Junge Leute aus dem Bergell waren begehrte Zuckerbäcker an den Höfen in Frankreich oder gar Russland. Der Zürcher Baumwollindustrielle, Bankier und Bahnpionier Guyer-Zeller plante die Engadin-Orient-Bahn durch den Vinschgau. Engadiner Bergbauern belieferten Bozen mit Schmalz und Käse. Kinder aus den verarmten Berggebieten des Bündnerlandes wurden im 19. Jahrhundert zum Gänsehüten und als kleine Knechtlein auf Bauernhöfe im 200 Kilometer entfernten Schwabenland verschickt, bis die Empörung über den "Sklavenmarkt" mit den "Schwabenkindern" der "Schwabengängerei" ein Ende setzte. Der gebürtige Bündner Pietro Caminada verfolgte besonders hochfliegende Pläne mit der Schiffbarmachung des Splügenpasses. Bauingenieur Jules Röthlisberger aus Neuenburg baute auf der Linie Mailand-Bergamo die berühmte Eisenbahnbrücke bei Paderno und wurde als "Eiffel der Adda" bejubelt. Die Seidenhändler und Weinbauer-Dynastie Abegg aus Küsnacht verbringt ihre Lehr- und Wanderjahre in den oberitalienischen Seidenspinnereien, wo sie den Grundstein zu ihrem weltumspannenden Seidenhandel legen. Magere junge Buben aus den Tessinertälern zogen im Herbst zu Hunderten nach Mailand, wo sie als "Spazzacamini", als lebende Russbesen die schmalen hohen Kamine der Stadt fegten – wirklichkeitsgetreu im ergreifenden Kinderbuch "Die Schwarzen Brüder" von Lisa Tetzner nacherzählt. Diese Migrantenschicksale und weitere Geschichten von Wandervögeln, Flüchtenden und von Pionieren des anbrechenden Industrie- und Tourismuszeitalters lassen sich auf den von Bauer und Frischknecht vorgeschlagenen Wanderrouten entdecken.

Die erste "Auswanderung" startet in den Fussstapfen des Volksmusikhelden Dursli, der sich in fremde Kriegsdienste nach Flandern verdingt und – nach langen 48 Liedstrophen – doch noch glücklich sein zurückgebliebenes Babeli ehelicht. Und zwar in Solothurn beim gediegenen kleinen Stadthotel Baslertor und der Marsch führt bereits nach wenigen Kilometern unter die schattigen Bäume des Restaurants Pintli bei der Einsiedelei, bald gefolgt vom nächsten Halt in einem schattigen Beizengarten in der Verenaschlucht. Der Ton ist gegeben: Die "Wegleitung zum Verlassen der Schweiz" ist mehr als ein trockenes Geschichtsbuch oder ein Wanderführer der herkömmlichen Art – eine Anleitung zum genussvollen Entdecken und Wandern. Die Schilderungen der verschiedenen Sorten von Budino, Käslein der Alpen und Täler, der raffinierten Pastagerichte, saftigen Salsiccie und Filetstücke, deftigen Eintöpfe und des Reigens der Torte und Panne cotte lassen einem schon beim Lesen das Wasser im Mund zusammenlaufen. Was jetzt? Essen sie, um zu wandern, oder wandern sie eigentlich, um zu essen? Diese "abgrundtiefe Frage" lassen sie selber offen. Ihr eigene Erklärung, "Auswanderungen" sei "ganz am Rande auch ein kleiner Hotel- und Essensführer von Meran bis zum Montblanc und von Mulhouse bis Mailand" dürfte glattweg eine leichte Untertreibung sein. Wie gewohnt geben Bauer und Frischknecht aber auch detaillierte Angaben und Routenbeschriebe zu jeder Wanderung sowie handfeste Tipps für die Ausrüstung. Bloss das leichte Gepäck – "ein sorgfältig gepackter Wanderrucksack wiegt höchstens zehn Kilogramm" – lässt sich natürlich nur schwer einhalten, wenn allein der Wanderführer bereits annähernd ein sattes Kilo wiegt!

Dies auch als kleine Anregung für den Rotpunktverlag, der ja – wie wir an dieser Stelle ausdrücklich vermerken möchten – nicht nur die aktuellsten Wanderbücher weit und breit herausgibt, sondern auch immer wieder mit originellen und stets schön aufgemachten Wanderführern zu neuen spannenden Entdeckungsreisen einlädt!

Ursula Bauer, Jürg Frischknecht: Auswanderungen. Wegleitung zum Verlassen der Schweiz. Rotpunktverlag Zürich, 2008, 384 Seiten, SFr. 45.-, Euro 28.-, ISBN 978-3-85869-372-3; www.rotpunktverlag.ch; Aktualisierungen und Raum für eigene Beobachtungen auf www.wanderweb.ch/auswanderungen